Im Medienrecht versteht man unter einem „Bootleg“ eine Ton- oder Filmaufnahme, die ohne Zustimmung des Rechteinhabers veröffentlicht oder verbreitet wird. Häufig handelt es sich dabei um Mitschnitte von Live-Konzerten, die heimlich aufgenommen und später auf Tonträgern oder online verbreitet werden. Auch nicht autorisierte Zusammenstellungen – etwa in Form von Kompilationen – fallen unter diesen Begriff.
Oft werden Bootlegs mit sogenannten Schwarzpressungen verwechselt, bei denen es sich jedoch um Produktpiraterie oder Raubkopien handelt. Zwar sind die meisten Bootlegs nicht offiziell genehmigt, doch existieren auch Ausnahmen: Manche Konzertmitschnitte wurden im Nachhinein legitimiert. Inzwischen sind zahlreiche dieser Aufnahmen – teils geduldet – auf Plattformen wie YouTube zu finden, ohne dass die eigentlichen Rechteinhaber rechtlich dagegen vorgehen.
Begriffsklärung: Was ist ein Bootleg?
Der Begriff Bootleg stammt ursprünglich aus dem Englischen und bezeichnet wörtlich den „Stiefelschaft„. Während der Prohibition in den Vereinigten Staaten versteckten Schmuggler dort häufig Alkoholflaschen, um sie unbemerkt über Grenzen zu transportieren – eine Praxis, die dem Wort seine zweite Bedeutung verlieh: to bootleg, also schmuggeln.
In der Welt der Tonträger bezeichnet ein Bootleg jedoch weit mehr als nur eine heimlich vervielfältigte Aufnahme. Anders als selbstgebrannte CDs oder illegale Downloads aus dem Internet handelt es sich bei einem klassischen Bootleg um einen industriell hergestellten Tonträger. Entweder wird er öffentlich – meist ohne Genehmigung – verkauft, oder er existiert als Konzertmitschnitt, der in Sammlerkreisen ausgetauscht wird.
Das Feld der sogenannten Schwarzpressungen ist vielschichtig und juristisch bis heute nicht eindeutig definiert. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Bootlegs, Counterfeits und Pirate Pressings. Während ein Counterfeit eine illegale Kopie einer offiziell veröffentlichten Platte darstellt – etwa Paul McCartneys zunächst nur in der Sowjetunion erschienene LP Снова в СССР – handelt es sich bei Pirate Pressings ebenfalls um unautorisierte Nachpressungen, denen jedoch das originalgetreue Erscheinungsbild fehlt. Solche Exemplare finden sich beispielsweise bei manchen Jimi-Hendrix-Platten.

Seit den frühen 1990er-Jahren hat sich zudem der Begriff Schutzlückenbootleg etabliert: Damit sind Veröffentlichungen gemeint, die – juristisch geschickt – unter Ausnutzung von Gesetzeslücken veröffentlicht werden konnten. Dabei wurden zwar Lizenzgebühren an die GEMA gezahlt, jedoch ohne Zustimmung von Künstlern oder Plattenfirmen. Beispiele sind etwa die Beatles-Box von Tchibo oder die Live & Alive– beziehungsweise Live USA-Reihe des Labels Imtrat. Zwei prominente Rechtsstreite – unter anderem angestoßen von Phil Collins und Cliff Richard – führten zu ersten Erfolgen der Musikindustrie in diesem Graubereich.
Schwieriger einzuordnen sind hingegen minderwertig produzierte Ausgaben aus Osteuropa oder Südostasien. Diese erscheinen zwar oft unter offiziellen Lizenzierungen, lassen aber häufig die nötige Sorgfalt vermissen.
Innerhalb der Szene kursiert zudem der Begriff RoIO – ein Akronym für Recording of Indeterminate, Independent oder Illegitimate Origin. Besonders in der elektronischen Musikszene steht der Begriff Bootleg auch für Remixe, die ohne Genehmigung des Originalkünstlers angefertigt wurden. Diese stellen klare Urheberrechtsverletzungen dar und dürfen entsprechend weder verkauft noch legal verbreitet werden.
Geschichte der Bootlegs: Vom Phonographen bis zur CD
Die Geschichte der Bootleg-Aufnahmen – also nicht autorisierter Musikveröffentlichungen – reicht weiter zurück, als viele vermuten. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts legte der Opernliebhaber Lionel Mapleson unbeabsichtigt den Grundstein für diese parallele Musikwelt. Ausgestattet mit einem von Thomas Alva Edison geschenkten Phonographen, nahm der Bibliothekar der New Yorker Metropolitan Opera zwischen 1901 und 1903 Live-Aufführungen direkt von der Seitenbühne aus auf. Die primitiven Wachswalzen konnten zwar nur wenige Minuten aufnehmen, doch entstanden so einzigartige Dokumente – teilweise die einzigen Tonaufnahmen legendärer Künstler wie Jean de Reszke. Auch die später populären „Liner Notes“, also Begleittexte zu Tonträgern, fanden in diesen Aufnahmen erstmals Verwendung.
Ein halbes Jahrhundert später, im Zeitalter der Rockmusik, entwickelte sich Bootlegging vom nerdigen Archivprojekt zum florierenden Schwarzmarktgeschäft. Der große Wendepunkt kam 1969 mit dem legendären Bob-Dylan-Bootleg „Great White Wonder„. Dieser inoffizielle Mitschnitt von Proben- und Demoaufnahmen verbreitete sich rasant – über 350.000 verkaufte Exemplare werden kolportiert. Die Plattenfirma Columbia reagierte schließlich 1975 mit einer offiziellen Veröffentlichung der „Basement Tapes“, um dem Wildwuchs entgegenzuwirken.

Mit dem Aufkommen des Rock ’n’ Roll wurden auch Superstars wie Elvis Presley unfreiwillig zu festen Größen in der Welt der Bootlegs. Obwohl Elvis unter RCA Victor eine der bestüberwachten Künstlerkarrieren führte, kursierten bald zahlreiche Mitschnitte seiner Konzerte – teils von Fans mit Kassettenrekordern im Publikum aufgenommen, teils direkt aus Radiostationen oder von Fernsehsendern. Diese illegalen Aufnahmen lieferten Fans nicht nur neue Perspektiven auf seine Live-Darbietungen, sondern prägten auch das Bild von Elvis als Bühnentitan weit über seine offiziellen Releases hinaus. Besonders in den 1970er Jahren, als seine Konzerte in Las Vegas oder auf US-Tournee zum Kult wurden, erlangten entsprechende Bootlegs wahren Sammlerstatus.
Ab den frühen 1970er-Jahren begannen erste spezialisierte Labels wie Dittolino Disk und Kink Kong Records in den USA sowie später Fruit End Production (Deutschland) oder OG Records (Japan), systematisch Bootlegs zu vertreiben. Die Auflagen waren klein – meist 500 bis 1000 Stück – und oft aufwendig gestaltet. Limitierte Pressungen auf farbigem Vinyl wurden gezielt für Sammler produziert und erreichten über die Jahre beträchtliche Marktwerte.
In den 1980er-Jahren verlagerte sich der Fokus auf CDs. Aufnahmen wie „Ultra Rare Trax“ von den Beatles oder „Dallas ’75“ von Led Zeppelin sorgten für Furore. Besonders spektakulär war die Veröffentlichung von „Atlantic City ’89“ – ein dreifach-Boxset mit einem kompletten Rolling-Stones-Konzert in digitaler Qualität. Mit über 70.000 verkauften Exemplaren wurde es zu einem der meistverkauften Bootlegs überhaupt. 1995 setzte das Set „Handsome Girls“ neue Maßstäbe in Sachen Klangqualität: Ein Vier-CD-Set mit originalen Mischpultmitschnitten der Stones-Tour von 1978, digital veredelt – ein Meilenstein der Szene.
Mit dem Siegeszug digitaler Technik verschwanden Bootleg-LPs weitgehend vom Markt. CDs dominierten, technisch aufwendig produziert, oft mit klaren, remasterten Tonspuren. Mithilfe von Tools wie dem „NoNoise“-Verfahren konnten alte Aufnahmen restauriert, Störgeräusche entfernt und Aufnahmen auf Studiostandard gebracht werden. Die Quellen wurden professioneller: Radiomitschnitte, Fernsehsendungen, sogar direkte Leitungsaufnahmen aus Mischpulten fanden ihren Weg auf CDs – und auf die Wunschlisten internationaler Sammler.
Strafrecht: Der Kampf gegen die Bootleg-Industrie
Die Musikindustrie sah sich ab den späten 1960er-Jahren mit einer immer aggressiver agierenden Schattenwirtschaft konfrontiert. Nach Angaben der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) wuchs der weltweite Umsatz mit Raubpressungen von geschätzten 100 Millionen US-Dollar im Jahr 1967 auf nahezu 1,5 Milliarden Dollar im Jahr 1989. Über die Jahrzehnte hinweg belief sich das gesamte Umsatzvolumen aus dem Bootleg-Geschäft laut IFPI-Schätzungen auf rund 25 Milliarden Dollar – eine Summe, die eindrücklich das Ausmaß dieses illegalen Marktes verdeutlicht.
Auch in den Folgejahren blieb die wirtschaftliche Bedrohung durch Musikpiraterie enorm. Ein Sprecher der Recording Industry Association of America (RIAA) erklärte 1997, dass der US-Musikindustrie jährlich Verluste in Höhe von rund 10 Milliarden Dollar entstünden – eine Entwicklung, die die Branche zur verstärkten Verfolgung und Strafverfolgung zwang.
Besonders spektakulär war ein Fall Anfang der 1990er Jahre in Deutschland: Ermittlern der IFPI gelang in Zusammenarbeit mit der Polizei ein bedeutender Schlag gegen den illegalen Vertrieb von Tonträgern. Bei großangelegten Hausdurchsuchungen in Elmshorn und Pinneberg wurden insgesamt rund 100.000 Bootlegs – darunter etwa 70.000 CDs und 30.000 Langspielplatten – sichergestellt. Der geschätzte Marktwert belief sich auf etwa 2,6 Millionen D-Mark. Die beschlagnahmten Tonträger wurden später bei Teldec (Tochterunternehmen des AEG-Konzerns) vernichtet.
Auch in den USA intensivierten die Behörden in den 1990er Jahren ihr Vorgehen gegen die Bootleg-Szene. Im Jahr 1997 wurden dort dreizehn führende Akteure der illegalen Musikvervielfältigung festgenommen. Bei den Razzien beschlagnahmten die Ermittler rund 800.000 illegale CDs, die im Anschluss ebenfalls zerstört wurden. Die juristischen Konsequenzen für die Verantwortlichen waren drastisch: Insgesamt wurden sie zu zusammengenommen 230 Jahren Haft verurteilt – ein deutliches Signal an die Szene, dass die Zeit der Duldung vorbei war.
Bekannte Beispiele
Bootlegs sind ein Phänomen, das seit den 1960er Jahren die Rockgeschichte mitgeprägt hat. Was zunächst als illegaler Akt galt, entwickelte sich für viele Künstler und Fans zu einem Teil der musikalischen Mythologie – als Ausdruck von Nähe, Authentizität und Rebellion gegen die Musikindustrie. Besonders bei Größen wie Elvis Presley, den Beatles, Bob Dylan oder den Rolling Stones wurden Bootlegs zu regelrechten Sammlerobjekten.
Elvis Presley – Der King und die Bootlegs
Im Fall von Elvis Presley nahmen Bootlegs eine besondere Stellung ein. Bereits in den 1970er Jahren kursierten in Sammlerkreisen Aufnahmen von RCA-Produktionen für seine Spielfilme, die ursprünglich als entbehrlich galten und später als „Behind Closed Doors“ in einer legendären 4-LP-Box veröffentlicht wurden. Weitere inoffizielle Aufnahmen gewannen über die Jahre an Kultstatus – darunter auch sein Silvesterkonzert in Pittsburgh vom 31. Dezember 1976, das lange Zeit nur als Bootleg unter verschiedenen Titeln wie „Rockin’ With Elvis New Year’s Eve“ erhältlich war. Erst 2003 veröffentlichte BMG das Konzert offiziell unter dem Titel „Elvis New Year’s Eve“ – in überarbeiteter Klangqualität und mit Bonusmaterial, etwa selten live gespielten Songs wie „Rags to Riches„.

Ein weiteres Zeugnis seiner musikalischen Relevanz ist die inoffizielle Veröffentlichung des „Million Dollar Quartet“-Sessions von 1956, bei der Presley zusammen mit Johnny Cash, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins spontan im Studio jammt. Jahrzehntelang galten diese Aufnahmen als zu schlecht verständlich, bis sie restauriert wurden und auch Elvis’ Stimme zweifelsfrei zu identifizieren war.
Presleys Präsenz in der Bootlegszene reichte sogar über seinen Tod am 16. August 1977 hinaus: In seiner persönlichen Sammlung fand sich das Bootleg „The Legend Lives On„, das eine Aufnahme seines Konzerts von 1969 enthielt – ein Hinweis darauf, dass auch er den Reiz dieser unveröffentlichten Mitschnitte verstand. Bis 2005 erschienen rund 1.200 Bootleg-CDs mit Elvis-Material in Europa – einige davon in bis dahin ungehörter Qualität. In Reaktion auf die Fan-Nachfrage gründete seine Plattenfirma 1999 das Label „Follow That Dream“ (FTD), das rare Live- und Studioaufnahmen erstmals offiziell zugänglich machte.
Weitere betroffene Rockstars
Auch bei anderen Rockgrößen spielten Bootlegs eine zentrale Rolle. Die Rolling Stones reagierten mit der Veröffentlichung ihres Albums „Get Yer Ya-Ya’s Out!“ auf das beliebte Bootleg „Liver Than You’ll Ever Be„. Frank Zappa wiederum veröffentlichte unter dem Titel „Beat the Boots“ selbst Bootlegs seiner Konzerte, um der Schattenwirtschaft zuvorzukommen.
Bei den Beatles sorgten vor allem unveröffentlichte Studioaufnahmen aus der „Let It Be„-Phase für Aufsehen – darunter frühe Versionen, die nicht von Phil Spector bearbeitet wurden. Bob Dylan verwandelte seine inoffiziellen Veröffentlichungen schließlich in eine eigene Serie: „The Bootleg Series„, die mittlerweile mehr als ein Dutzend Alben umfasst.
Selbst ganze Albumprojekte wie das „Black Album“ von Prince oder die Rohversion von Pink Floyds „Dark Side of the Moon“ (als The Best of Tour ’72) gelangten zunächst als Bootleg an die Öffentlichkeit – lange bevor sie regulär erschienen. Bei Van Morrison oder Bruce Springsteen boten inoffizielle Konzertmitschnitte oft eine rohere, emotionalere Variante ihrer Musik als die offizielle Live-Alben.
Fazit
Bootlegs sind ein Spiegel der Faszination, die große Künstler wie Elvis Presley auf ihre Hörer ausüben. Sie dokumentieren die spontane Magie des Moments, die ungeschliffene Kreativität im Studio und die emotionale Intensität der Bühne – oft ungefiltert und jenseits kommerzieller Interessen. Elvis Presleys Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie stark der Wunsch war (und ist), hinter die Fassade zu blicken und dem Künstler wirklich nah zu sein. Offiziell oder nicht – was zählt, ist die Musik. Und manchmal ist gerade das Unveröffentlichte das Kostbarste.